Gott, Israel und die Kirche
Predigt am Israelsonntag zu 5 Mose 4,5-20
Israel. Was ist Israel für Dich? Was wird in Dir zum Schwingen gebracht, wenn Du diesen Namen hörst, ihm nachspürst: I S R A E L.
Israel – der Name den Gott Jakob gab, nachdem er erfolgreich mit jener Gestalt am Fluss Jabbok gerungen hatte – einem Menschen, dem Engel Gottes, Gott selbst?
Israel bedeutet „der mit Gott kämpft“. In der Bibel heißt es: „Denn du hast mit Gott und mit Menschen gerungen und hast gesiegt.“
Jakob, Israel – der Vater der 12 Söhne, von Ruben, dem Ältesten bis Benjamin, dem Jüngsten. Von ihnen stammen die 12 Stämme ab. Später sprach man von „Israel“ als dem Verbund von 10 Stämmen im Norden und von „Juda“ als dem Verbund von 2 Stämmen mit Jerusalem im Süden.
Israel schließlich als Bezeichnung für das Volk Israel mit seinem wechselvollen Weg durch die Geschichte.
Jesus selbst ist auch ein Kind Israels und möchte das neue Israel bauen. Er beruft genau 12 Jünger.
Und seit 75 Jahren gibt es wieder einen Staat Israel.
Israel – ein ganzes Buch mit vielen, vielen Kapiteln.
Für mich ist und bleibt Israel zunächst einmal: Das von Gott geliebte und auserwählte Volk aus allen Völkern. Es ist damit das Volk – sagen wir besser Gemeinschaft oder noch besser Gesellschaft – die als erste durch Gottes Wort und Anweisungen Rechtsordnungen und Gebote erhalten hat. Und diese wuchsen dann von Generation zu Generation zu einer Sozialgesetzgebung, zum Gleichheitsgrundsatz aller Menschen in dieser Gesellschaft und über die Jahrhunderte auch zu so etwas, das wir heute das internationale Völkerrecht nennen.
Wichtig für mich ist dabei, dass wir niemals der Versuchung erliegen, dieses Volk, diese Gesellschaft mit dem Staat Israel gleichsetzen.
Israel, so verstanden, ist eine religiöse Größe. Sie hat sich in einer Zeit, als die Staatlichkeit Israels überhaupt nicht gegeben war, durch die Lehre Jesu Christi und durch sein Leben, sein Leid und die Auferstehung, schließlich durch das Feuer von Pfingsten von Generation zu Generation, über die Jahrhunderte über viele Nationen auf mehreren Kontinenten ausgebreitet und konstituiert.
Ja, ich glaube und bin davon überzeugt, dass Christinnen und Christen über Konfessionsgrenzen hinweg weltweit im Glauben an den einen und einzigen Gott, der aus dem Feuer des Dornbusches zu Moses gesprochen hat und aus dem Feuer am Horeb zum Volk, mit Jüdinnen und Juden tief verbunden sind.
Und überall, wo Gesellschaften mit Menschen dieses Glaubens gebaut und gestaltet werden, entstehen Staatswesen, die auf diesen Grundsätzen fußen: Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Sozialgesetzgebung, dieselbe Menschenwürde für alle.
Und all diese Staatswesen und Staaten sind nicht gefeit davor, dass diese Grundsätze auch in Frage gestellt werden bzw. dass von einigen Kräften versucht wird, diese auszuhöhlen. Dies gilt, wie wir sehen, für den Staat Israel genauso, wie für die Bundesrepublik, die Vereinigten Staaten oder Südafrika.
Diese Grundsätze wollen immer wieder errungen, verteidigt und bewahrt werden.
Deswegen dürfen wir uns mit Fug und Recht auch ISRAEL nennen.
So sind wir alle heute auch angesprochen, wenn der biblische Mose zu „ganz“ Israel spricht. Ganz Israel – das sind auch wir!
Und was er uns in Erinnerung bringt, das haben wir in den zwei Abschnitten der Lesung gehört. Wir werden an Gottes Gebote und Rechte erinnert. Ja, eben auch an die Rechte. Wir haben das Recht, in Freiheit zu leben, offen zu debattieren, unseren Unmut bei Kundgebungen und Demonstrationen auszudrücken. Wir haben das Recht, Eigentum zu erwerben und etwas zu gestalten, kreativ zu werden und etwas zu schaffen. Nichts außer dem Recht meines Nächsten, meiner Mitmenschen und dem Recht der Natur grenzt mich ein.
Natürlich werden wir auch an die Gebote erinnert: Wir werden die Natur, die Sonne, den Mond und die Sterne nicht anbeten. Wir werden uns der Geschöpflichkeit, allem Geschaffenen nicht unterwerfen. Wir werden aber Gott, den noch kein Mensch gesehen hat, als unseren Herrn anbeten, ihn ehren und ihm dienen. So dienen wir auch dem Leben, der Welt und der Schöpfung.
Selbstverständlich, so glauben wir als Christinnen und Christen, war Gott zu 100% in Jesus Christus. Er war aber eben auch zu 100% Mensch – und als solcher wurde er gesehen, erlebt. Der Geist Gottes war gleichwohl immer bei jeder einzelnen Berührung durch ihn spürbar. Das ist das einzigartige Mysterium, dass Gott in Jesus Christus offenbart hat.
So ruft uns Mose auf, unsere Seele gut zu hüten und zu bewahren, dass wir nicht abfallen vom wahren Glauben an diesen einzigen einen Gott. Auch sollen wir uns immer erinnern an das Feuer vom Dornbusch, an das Feuer vom Horeb und an das Feuer von Pfingsten in Jerusalem. Was wir gespürt, was wir verstanden haben, das bewahren wir in unseren Herzen unser Leben lang. Und wir gestalten das Miteinander in unserem Gemeinwesen nach den Grundsätzen der Freiheit, der Gleichheit, der Solidarität, der Rechtstaatlichkeit.
So ist für unser Staatwesen – nämlich das der Bundesrepublik Deutschland – so wichtig, dass wir uns in diesen Tagen intensiv und aufmerksam an die Vorbereitungen zur Gründung desselben vor 75 Jahren und damit an unser Grundgesetz erinnern. Einige bekennen sich in diesen Tagen zu einem Verfassungspatriotismus. Ein bundesdeutscher Patriot ist dann einer, der dieses Grundgesetz und die darin enthaltenen Werte achtet und danach lebt – gleichgültig, woher jemand kommt, in welche Kultur und Sprache er hineingeboren wurde. Dieses Grundgesetz hält diese Bundesrepublik zusammen. Und deshalb ist es wichtig, sich diese Werte und Grundsätze regelmäßig in Erinnerung zu rufen. Dazu hat uns vor einigen Tagen auf der Insel Herrenchiemsee in Bayern Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier aufgerufen. Dazu ruft uns heute durch den Predigttext Mose auf.
Diese Erinnerung soll uns Freude bereiten und Mut machen. Sie soll uns vor allem gewiss machen, dass Gott uns keinesfalls vergessen hat, sondern fest hinter uns steht und uns durch seinen Geist beflügelt, das Richtige, gemäß seinen Geboten und Rechten zu tun.
Schließlich hat Gott auch uns aus den diversen Schmelzöfen der Geschichte geführt und von menschenunwürdigen und gotteslästerlichen Anschauungen befreit und uns angenommen als Teil des einen Volkes, über das Mose sagt:
„dass ihr sein Erbvolk sein sollt, wie ihr es jetzt seid.“
Amen