Geschlossene Kirchen, keine Gottesdienste und das Gemeindeleben steht auch still. Was bedeutet Corona eigentlich für die Pastoren? Wir haben nachgefragt bei Matthias Groeneveld und Cord-Michael Thamm

Die Entscheidung bis zum 19.4. keine Gottesdienste halten zu dürfen fiel am Freitag,  13. März. Erinnert ihr euch, wie ihr sie aufgenommen habt?

Cord-Michael Thamm (CMT): Ich kann mich gut erinnern. Wir trafen uns zu einer außerordentlichen KV-Sitzung. Einziger TOP: Maßnahmen zur Eindämmung er Ausbreitung des Coronavirus. Ich war mit der Vorstellung in die Sitzung gegangen, dass Andachten, z.B. im Wechsel in Thomas und Matthäus möglich bleiben würden. Doch mein KV war da glasklar. Keine halben Sachen. Die Thomaskirche wird geschlossen, also auch keine Andachten. Da musste ich schon schlucken und hab mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Aber schon am Tag darauf hatte ich das Gefühl, dass dies eine richtige, gemeinsame Entscheidung war.

Matthias Groeneveld (MG): Als die Entscheidung getroffen wurde, waren Kimm, die Jugendlichen und ich gerade mit den Konfis auf Konfi-Freizeit. Für mich war das total merkwürdig: auf der einen Seite haben wir das komplette Gemeindeleben abgesagt und stillgelegt – ich war in der Zeit im ständigen Austausch mit Friedemann Neuhaus, meinem KV-Vorsitzenden – auf der anderen Seite haben wir eine ganz normale Konfi-Freizeit gehabt mit unglaublich toller Gemeinschaft und motivierten Jugendlichen.

Stichwort „Gemeindeleben stillgelegt“: Wie haltet ihr Kontakt zu den Gemeindegliedern oder zu den Kreisen und Gruppen? Wisst ihr, wie es den Leuten in eurer Gemeinde geht?

CMT: Ich finde es großartig, wie sich die Kreise innerhalb der Thomasgemeinde in dieser Zeit selbst organisiert haben. Die Gruppenleitenden telefonieren oder schreiben Mails. Andere haben zu Gründonnerstag Brot gebacken und an andere Gemeindeglieder in der Nachbarschaft verteilt, verbunden mit der Einladung, das Abendmahl als Hausabendmahl zu feiern. Wieder andere haben Gummibänder für diejenigen gesammelt, die Mund-Nasen-Masken nähen konnten. Mit diesen fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Gemeinde habe ich in der zurückliegenden Zeit regelmäßig telefoniert und konkrete Bedarfe abgefragt. Mein Eindruck ist: Die meisten Menschen in der Gemeinde gehen mit dieser schwierigen Situation sehr verantwortungsvoll um. Sie freuen sich, wenn sie einen Anruf erhalten. Sie freuen sich, wenn Sie einen Brief vom Pastor erhalten. Sie freuen sich, dass sie sonntags zwar zu Hause aber gemeinsam mit vielen Andacht feiern können, die wir ja regelmäßig zu Verfügung stellen.

MG: Ich war im Gegensatz zu Cord ja nicht „Live dabei“, als alles ausfallen musste und unsere Gemeindeglieder mit der neuen Situation umzugehen lernen mussten. Diese Hochphase habe ich als Pastor so gar nicht miterlebt, weil ich genau da drei Wochen im Urlaub war. Als ich dann wieder im Dienst war, habe ich erst gemerkt, wie viel Tolles in der Zwischenzeit passiert ist – insgesamt aber auch in unserer Gemeinde: Über Online-Andachten und -Gottesdienste, gegenseitigen telefonischen Kontakt unter Gemeindegliedern und den einzelnen Kreisen, Anrufe bei unseren Gruppenleitern und -Leiterinnen, Briefe und andere Grüße, die untereinander verschickt werden, oder die Aktion mit den Fisch-Steinen. Und ich muss sagen, da war ich schon ziemlich stolz, wie kreativ die Menschen in unserer Gemeinde dabei waren, trotz aller Einschränkungen in Kontakt und verbunden zu bleiben.

Taufen und Hochzeiten lassen sich verschieben – so, wie auch die Konfirmationen in den beiden Gemeinden. Für Beerdigungen gilt das i.d.R. nicht. Die Beschränkung auf max. 10 Personen bei Trauerfeiern ist schmerzhaft. Wie erlebt ihr das?

CMT: Ich erlebe Gott sei Dank bisher keine Zunahme von Beerdigungen. Aber bei meiner ersten Trauerfeier in Corona-Zeiten hatte der Bestatter alles sehr liebevoll vor der Friedhofskapelle vorbereitet. Die Vögel zwitscherten, die Sonne strahlte. Es war wie bei einem Freiluftgottesdienst. Es gab einen Akkordeonspieler und wir haben gesungen. Das war sehr würdig und sehr tröstend, auch für mich in dieser Zeit – und vielleicht ja sogar auch für die Friedhofsmitarbeiter und Bestatter.

MG: Ich hatte nun schon mehrere Beerdigungen und muss Cord da zustimmen, dass die Bestatter draußen für die Trauerfeier alles sehr schön aufbauen. Viele schöne Blumen, dazu sitzt man draußen und – das muss man natürlich zugeben – das Wetter spielt zurzeit mit. Es gab sogar schon Rückmeldungen, dass man doch öfter Trauerfeiern draußen abhalten könne. Dass Hochzeiten verschoben werden, kann ich absolut verstehen. Auf Vieles müssten Paare verzichten, was neben der Trauung in der Kirche ja auch dazugehört: Umarmungen, die Feier, zum Teil auch Gäste aus dem Ausland.

Homeoffice kennt man als Pastor. Jetzt fallen Sitzungen, Kreise, Gottesdienste, Konfiarbeit etc. aus. Wie hat sich euer Arbeitsalltag durch Corona verändert?

MG: Statt in Sitzungen und Treffen wird nun alles per Telefon, Videokonferenz oder E-Mail geklärt. Ich finde, das funktioniert ganz gut. Wir haben eine Weise gefunden, dass wir so trotzdem zusammenarbeiten können. Und bis auf die Tatsache, dass ich zurzeit keine kompletten Gottesdienste vorbereite, hat sich mein Arbeitsalltag gar nicht so stark verändert. Zumindest stelle ich nicht fest, dass ich weniger ausgelastet wäre oder nichts zu tun hätte. Allerdings ist es auch so, dass lange und manchmal langwierige Sitzungen wegfallen. Telefon-Konferenzen sind anscheinend effektiver. Vielleicht liegt das daran, dass man mit seinem Gegenüber nicht so sehr interagieren kann und wir viel mehr auf Disziplin angewiesen sind. Dabei geht natürlich auch ein bisschen das Menschliche verloren… Insgesamt fällt es meiner Frau und mir vermutlich vergleichsweise leicht, unseren Corona-Alltag zu organisieren, da wir keine Kinder haben.

CMT:  Wir haben versucht, mit unseren Kindern für zu Hause einen neuen Ablauf zu verabreden. Mit festen Zeiten für Hausaufgaben und „Draußen-Zeit“. Seit es in Niedersachsen verbindliche Aufgaben gibt, die die Schulkinder in einer Cloud hochladen müssen, unterstützen Iveta und ich sie da an der einen und anderen Stelle. Meine Arbeitszeit muss ich daher noch flexibler organisieren und arbeite jetzt zu ganz verschiedenen Zeiten von zu Hause aus. Für Außenstehende ist das wahrscheinlich schwer nachzuvollziehen, aber es bedarf viel Zeit und Energie, Entscheidungen abzustimmen, das „Große und Ganze“ in der Gemeinde im Blick zu behalten, Bedürfnisse und Bedarfe wahrzunehmen, gleichzeitig aber auch nicht in Aktionismus zu verfallen. Und einfach auch „auszuhalten“. Die Gespräche am Telefon haben in der Tat zugenommen. Überhaupt hat der Anteil der Seelsorge im Verhältnis zum Anteil der Gottesdienste kräftig zugenommen.

Momentan wird viel im und für das Internet produziert. Eben fiel das Wort „Aktionismus“. Fühlt ihr euch einem solchen „Druck zu Aktionen“ ausgesetzt?

MG: Ich kann Cord da nur zustimmen! Als ich nach meinem Urlaub erst einmal nachgelesen habe, was in der Zwischenzeit alles passiert ist, habe ich diesen Aktionismus auch sehr stark wahrgenommen. Natürlich wollte ich keinesfalls ein Bremser sein, musste aber schon sehr genau schauen: was ist jetzt für meine Gemeinde und für mich richtig? Manchmal kam da schon das Gefühl: mache ich jetzt zu wenig? Dann habe ich mich mit Freunden kollegial und seelsorgerlich ausgetauscht und wir haben uns gegenseitig wieder geerdet. Als netter Nebeneffekt haben wir uns dabei noch gegenseitig Material und Tipps zugeschickt.

CMT: Mein Eindruck ist, dass viele Menschen es nur schwer aushalten können, in dieser Zeit bestimmte Dinge nicht machen zu können. Doch genau darum geht es: Wir befinden uns in einer besonderen Fastenzeit, die wir auch geistlich verstehen müssen. Das Gebet ist wichtig! Ja! Aber wir sollen es im Stillen tun. Es geht nicht darum, wer am lautesten ist, wer am meisten gesehen wird. Es geht um etwas ganz anderes: Dass wir dem Heiligen Geist in unserer Gemeinde, ja in unserer Gesellschaft in dieser Zeit eine Chance geben. Und das beginnt mit unserem Gebet. Jeweils in unseren Häusern. Und dann hoffentlich auch bald wieder in unseren Kirchen.

Ihr steht nicht mehr jeden Sonntag als Pastor vor der Gemeinde. Geistliche Impulse müssen nicht immer und unbedingt von Pastor*innen kommen. Verändert Corona euer Verständnis vom eigenen Amt?

MG: Das Selbstverständnis vom Amt hat sich nicht sehr gewandelt. Ich bin weiter für die Gemeinde und die Menschen, die hier leben, als ihr Pastor da, nur eben anders. Klar, die Begegnungen und Gespräche, die Nähe: das fehlt sehr und kann durch Telefonate und Mails nicht ersetzt werden. Als Pastor möchte ich das Engagement, das Ehrenamt und, ja, auch das Priestertum aller Gläubigen fördern. Ich finde, die Menschen in unseren Gemeinden haben da einen richtig guten Job gemacht und sehr viel gezeigt!

CMT: Da pflichte ich Matthias voll und ganz bei.

Was fehlt in dieser Situation am meisten?

MG: Wie sehr mir der Gottesdienst auch selbst fehlt, ist mir erst zu Karfreitag und Ostern richtig bewusst geworden. Als ich am Karfreitag zur Todesstunde Jesu die Glocken läutete und in der Kirche war, die Osterkerze erloschen ist, da habe ich schon gemerkt, wie sehr es jetzt fehlt, miteinander Gottesdienst zu feiern. Umso stärker noch in der Osternacht, die für mich und auch für meine Frau und ich denke noch viele mehr in der Gemeinde ein Highlight ist. Dieses Mal allein nachts die neue Osterkerze zu entzünden, das war schon komisch. Ich bin froh, dass wir Ostern in die Häuser getragen haben, indem wir viele kleine Osterkerzen in der Gemeinde verteilt haben. Und manche waren auch an der Matthäuskirche und haben sich ihre kleine Osterkerze dort abgeholt. Die Gemeinschaft und der Geist, die da spürbar waren, das war Ostern.

Was denkt ihr: Wie geht es nach Corona weiter: Genauso wie vorher? Anders? Wird Kirche vielleicht „entbehrlich“ geworden sein?

MG: Ich frage mich gerade ernsthaft, auch wenn das jetzt banal klingt, ob wir wieder dahin zurückkehren, uns gegenseitig die Hand zu geben. Über den Handschlag haben wir ja nun einiges gelernt im Hinblick auf Hygiene. Andererseits war Kirche immer noch der Ort, wo man sich zur Begrüßung und Verabschiedung die Hand gibt. Ich frage mich, ob wir dahin wieder zurückkehren…

CMT: Ich spüre, dass langsam eine „neue Normalität“ um sich greift. Gestern ergab es sich, dass wir uns zu dritt, mit einer Kollegin aus der KiTa und der FaBi mit sicherem Abstand im Innenhof der Thomaskirche auf einen Kaffee getroffen haben. Es entfaltete sich ein ganz grundsätzliches Gespräch über die Zeit „danach“. Für mich hatte das etwas von einem „think tank“ und ich bekam Lust, so etwas fortzusetzen. Vielleicht gelingt uns jetzt das, was uns im „Jahr der Freiräume“ nicht gelungen ist, nämlich bestimmte Dinge auch sein zu lassen und Platz und Zeit für Neues zu haben. Auch glaube ich, dass wir die Zusammenarbeit zwischen der Thomasgemeinde und der Matthäusgemeinde vertiefen werden. Die Corona-Krise hat uns bisher aufgezeigt, dass vieles sehr viel mehr Sinn macht, wenn wir es gemeinsam machen. Wichtig wird bleiben, dass wir jeweils in den Gemeinden eng an den Menschen bleiben. Dass uns das auch in diesen schwierigen Zeiten ganz gut gelingt, macht mir Mut für die nächsten Wochen und Monate.

MG: Es wird nach Corona sicherlich nicht 1:1 weitergehen wie vorher. Die Pandemie, die Krise, alle Einschränkungen, eben alles, was dieses Jahr passiert ist und noch passieren wird, das wird uns sicherlich als Gesellschaft nachhaltig verändern. Für Kirche kann ich nur aus meiner Sicht sagen, dass ich nicht das Gefühl habe, dass sie entbehrlich geworden ist. Im Gegenteil: Ich nehme zum Beispiel sehr stark wahr, wie die öffentliche Diskussion über Gottesdienste geführt wird. Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Ich habe das Gefühl, dass die Gemeinde noch stärker zusammen gewachsen ist. Die Verbundenheit und das Gemeinschaftsgefühl, nicht nur in unserer Gemeinde sondern z. B. auch mit der Thomasgemeinde und darüber hinaus, sind gewachsen. Wir haben schon viel gelernt und lernen gerade immer noch. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass der Geist uns dabei bewegt und uns auf die richtige Spur bringt.

(Die Fragen stellte Brigitte Neuhaus)